WHY THIS PROJECT
Was ist „digitale Infrastruktur“?
Wenn du diese Zeilen liest, nutzt du bereits einen Teil davon: Smartphones und Computer sind Endpunkte eines gewaltigen, weltumspannenden Kommunikationsnetz aus Servern, Rechenzentren, Unterseekabeln, Kraftwerken und unzähligen weiteren Elementen. Hier untersuchen wir digitale Infrastruktur anhand von sechs „Sphären“, die jeweils einen bestimmten Aspekt globaler digitaler Netzwerke darstellen: Earth, Cloud, City, Address, Interface und User.
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THE INTERFACE REALM
Der Bereich „Schnittstelle“ (Interface) ist der Ort, an dem das menschliche Auge auf die Sprache der Maschinen trifft – ein Grenzbereich aus flackernden Bildschirmen und Berührungspunkten, die unsere Wünsche in Daten umwandeln und wieder zurück.
Digitale Technologie verführt uns wie ein magischer Spiegel: Überredung und Automatisierung lenken unsere Aufmerksamkeit in enge Kreisläufe, bis wir der „Enshittification“ anheimfallen – dem Prozess, bei dem Plattformen uns ködern und dann verfallen.
Doch seit den frühen Tagen des Internets haben Aktivist*innen proprietäre Schnittstellen unterwandert und damit das hervorgebracht, was man das „Weird Internet“ nennt: offene Tools, kollektive Surfrituale, radikale Memes und Shitposting als eigene Kunstform. Wir laden dich ein, einen Atlas allegorischer Symbole zu erkunden, die jeweils einen spezifischen Aspekt dieser Ebene und ihrer konkurrierenden Modelle zeigen.
Überredungskunst
Dämon
Das Internet spricht zu uns, flüstert uns in Timelines und Kommentarbereichen zu und formt unsere Wünsche mit unheimlicher Präzision.
Wie ein uralter Dämon nährt es sich von Aufmerksamkeit und beugt unsere Kommunikationsrituale seinem eigenen Wachstum. Es überredet nicht durch Argumente, sondern durch endloses Scrollen, Benachrichtigungen und zwanghafte Schleifen. Das Dämonische ist nicht länger übernatürlich – es ist algorithmisch. Es benutzt unsere Stimmen, um sich selbst zu verbreiten, und formt unser Leben auf Weisen um, die wir kaum wahrnehmen.
Standardisierung
Utah Teapot
Die Utah Teapot entstand als technischer Scherz und wurde zum kanonischen 3D-Modell: die Voreinstellung aller Voreinstellungen, die von jeder Grafik- Software gerendert wird.
Ein Preset ist jedoch nie neutral. Es legt Normen, Voreinstellungen und Erwartungen fest. Systeme, die auf Presets beruhen, driften in Richtung Gleichförmigkeit und erzwingen Konformität durch die unsichtbare Macht der „Standardpraxis“. Wenn Kreativität mit Vorlagen beginnt, läuft die Vorstellungskraft Gefahr, sich der Form anzupassen und zu schrumpfen. Standardisierung ist eine Hilfe, die zum Käfig wird.
Ausbeutung
Der mechanische Türke
Der mechanische Türke aus dem 18. Jahrhundert versprach einen Automaten, der menschliche Schachmeister übertrumpfen konnte. Doch im Inneren seines Gehäuses, verborgen vor den Blicken der Zuschauer, verrichtete ein Mensch die ganze Arbeit.
Die moderne Technologie hat die Illusion perfektioniert. Hinter jedem „smarten“ System steckt menschliche Arbeit: Content-Moderator*innen, Daten-Labeler, Fahrer*innen, Click-Worker – versteckt und ausgebeutet hinter der glänzenden Fassade der Automatisierung. Der Mechanische Türke ist nie verschwunden –, er wurde skaliert. Unsere Maschinen tun so, als würden sie denken, und unsere Arbeiter*innen müssen so tun, als wären sie unsichtbar.
Gamification & Streamification
Hamsterrad
Plattformen sind so gestaltet, dass sie süchtig machen und schwer zu verlassen sind. Likes, Kommentare, Benachrichtigungen, Herzen – gamifizierte Dopamintröpfchen, die uns ohne Ziel immer weiterlaufen lassen.
Streamification beschleunigt die Schleife: unendlicher Content, unendliches Scrollen, unendliche Erschöpfung. Das Rad der Inhalte kommt nie zum Stillstand – es dreht sich nur immer schneller. Nutzer*innen gelten als aktiv, doch in Wahrheit sind sie Treibstoff. Das Hamsterrad wirkt verspielt, doch sein Zweck ist es, uns laufen zu lassen, bis wir vergessen, dass wir in einem Käfig feststecken, den wir selbst mitgebaut haben.
Enshittification
Wandelnde Apps
Schnittstellen galten einst als innovativ, intuitiv und sogar erfreulich. Mit der Zeit jedoch beginnen sie sich zu verschlechtern: Funktionen verschwinden, Werbung nimmt zu, die Datenextraktion intensiviert sich.
Es ist keine Einbildung: Dinge werden absichtlich schlechter. Plattformen optimieren nicht für Nutzererfahrung, sondern für Profit – und opfern Bedienbarkeit zugunsten von Monetarisierung. Während Apps zu Schrott verkommen, wird der Verfall systemisch. Enshittification ist kein Fehler im System – sie ist das System, das in seine endgültige Form hineinwächst.
Funnelling
Weißes Kaninchen
Einst lockte das weiße Kaninchen Träumer in alternative Realitäten: Wunderland, Psychedelia, gegenkulturelles Erwachen. Es symbolisierte Neugier als Befreiung.
Heute ist der Kaninchenbau zur Waffe geworden. Statt Staunen bietet er Funnels („Trichter“): Wege, die darauf ausgelegt sind, die Einsamen, Unsicheren und Wütenden zu radikalisieren. Algorithmen führen nicht in neue Welten, sondern in immer engere. Dem Kaninchen zu folgen bedeutet nicht mehr Erwachen – allzu oft heißt es Verstrickung, ein Strudel, in dem Angst die Vorstellungskraft ersetzt.
Erneuerung
Der Phönix
Der Phönix verbrennt und wird wiedergeboren. Er widersetzt sich der Logik der geplanten Obsoleszenz und erinnert uns daran, dass manchmal alles, was wir brauchen, bereits vor uns liegt.
In einer Kultur, die Geräte, Identitäten, Plattformen und Menschen wegwirft, sobald sie keinen Profit mehr erzeugen, wird Erneuerung zur Form des Widerstands. Zu erneuern heißt, den Kreislauf des Wegwerfens zu durchbrechen und darauf zu bestehen, dass Nachhaltigkeit selbst in Zeiten des Zusammenbruchs möglich ist. Der Phönix fürchtet die Asche nicht – er verwandelt sie in einen Neuanfang.
„Weirdifizieren“
Dat Boi/Ein Frosch
Ein Frosch auf einem Einrad, ein Meme, eine Störung in der Kommerzialisierung der Online-Kultur. Frösche sind digitale Schwindler, die die Kraft des Seltsamen („Weird“ ) verkörpern.
Wo Plattformen Gleichförmigkeit erzwingen, stellt Weirdness die Regeln auf den Kopf. Sie widersetzt sich Optimierung, indem sie nutzlos ist, und entzieht sich Kommerzialisierung, indem sie den gesunden Menschenverstand zerschlägt. Weirdifizieren bedeutet, Fremdheit in Systeme zurückzubringen, die alles vereinheitlichen; es heißt, sich von den Fesseln willkürlicher Community-Richtlinien zu befreien.
Überlisten
Wassermelone
Im Kontext der Zensur entwickeln sich Symbole weiter. Die Wassermelone – rot, grün, schwarz, weiß – wurde zu einer Ersatzflagge für Palästina, als die echte Flagge verboten wurde.
Sie verbreitete sich als leises Signal, als sanfter Widerstand, eingebettet in Emojis, Sticker und die Ränder von Interfaces. Ein Akt, automatisierte Unterdrückung auszutricksen – mit harmlosen Bildern verbotene Solidarität auszudrücken. Austricksen heißt, Beschränkung in Kreativität zu verwandeln, Metaphern zu bewaffnen, wo Sprache kontrolliert wird: eine Praxis, so alt wie der Autoritarismus selbst.
Erinnerungen
Nokia 3310
Schwer, unzerstörbar, hartnäckig einfach: Das Nokia 3310 erinnert an eine Zeit, in der das Internet noch unschuldig, abenteuerlich und unterhaltsam schien.
Es ruft eine Ära offener Protokolle hervor, kleiner Communities, persönlicher Websites, langsamer Verbindungen und geringerer Fallstricke. Eine Erinnerung daran, dass das Web etwas Sanfteres, Fremderes, Freieres sein konnte – und vielleicht noch werden kann. Erinnerung ist eine Taktik des Widerstands. Sich zu erinnern heißt, der Behauptung zu widersprechen, es gebe „keine Alternative“.
Disruption
Die Cluster-Ente
Das seltsame Kind, das dich vom anderen Ende des digitalen Pausenhofs aus anstarrt. Wir sind mit dem Internet aufgewachsen; wir werden alles geben, um es zurückzuerobern und zu verteidigen.
Die Ente ist nicht nur unser Spirit Animal – sie ist ein Totem, ein Symbol für all das Seltsame, Niedliche und Schräge, das wir am Internet lieben. Sie ist der Grund, warum wir als Clusterduck lieben, was wir tun. Sie erinnert uns daran, seltsam zu bleiben und den Fluss algorithmischer Überwachung zu stören – auch dann, wenn andere fassungslos den Kopf schütteln.
Entdecken
Surfer
Bevor Algorithmen uns einengten, sind wir gesurft. Hyperlinks führten uns auf unvorhersehbare Weise von Website zu Website, über einen riesigen Ozean aus persönlichen Seiten, Foren, Archiven und Experimenten.
Zu surfen heißt, diese Freiheit zurückzuerobern: hinauszutreten aus Empfehlungssystemen, jenseits der ummauerten Gärten, hinein in die wilde Weite des offenen Web. Erkundung ist ein Akt der Rebellion gegen Plattformen, die uns genau dort festhalten sollen, wo wir sind. Die Surfenden gleiten über Wellen der Möglichkeit – geleitet nicht von Feeds oder Algorithmen, sondern von Neugier.
THE (W)HOLE REPOSITORY
Herzlichen Glückwunsch, dass du es bis hierher geschafft hast!
Im folgenden Abschnitt findest du eine sorgfältig zusammengestellte Liste von Online-Ressourcen, die darauf abzielen, die weite Welt der digitalen Infrastrukturen zu untersuchen, zu kritisieren und zu verbessern, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den in diesem Bereich vorgestellten Themen liegt. Wenn dir dieser Abschnitt gefällt, schau doch mal auf der Hauptseite unseres Repositoriums vorbei, wo du viele weitere Links aus allen anderen Bereichen des (W)HOLE-Projekts findest.